Lokalnachrichten BGL
05.07.2013
An den »Rand der erkennbaren Wirklichkeit«
Berchtesgaden
– Für Wissenshungrige und Musikbegeisterte gab es am Samstag ein
besonderes Schmankerl im Salzbergwerk. Sie konnten sowohl einen
spannenden Vortrag des bekannten Physikers Dr. Harald Lesch hören als
auch die »Gaya-Weltmusik« erleben. Nicht nur das: Eine Übernachtung im
Heilstollen war inklusive. Bevor der aus dem Fernsehen bekannte Physik-
und Philosophie-Professor seinen Vortrag mit dem Titel »Der blaue
Diamant« hielt, gab er dem »Berchtesgadener Anzeiger« ein exklusives
Interview.

Professor
Dr. Harald Lesch ist Physiker und Natur-Philosoph und lehrt an
der LMU München. Einem breiten Publikum ist er aus verschiedenen
Fernsehsendungen wie »Abenteuer Forschung« und »Leschs Kosmos« bekannt.
Foto: LMU München
Der Vortrag „Der blaue Diamant“ von Professor Harald Lesch
im Heilstollen wurde untermalt von den exotischen Klängen der „Gaya Weltmusik“.
Einen schönen Abend,
Professor Lesch. Waren Sie vor dem heutigen Tag schon einmal im
Salzheilstollen?
Nein, aber ich war schon einmal im Salzbergwerk. Früher war
ich als Volltourist auch schon in Ramsau und in der Schönau.
Sie werden dort einen
Vortrag mit dem Titel „Der blaue Diamant“ halten. Worum geht es denn
eigentlich?
Im ersten Teil wird es darum gehen: Wie ist das Sonnensystem
überhaupt entstanden? Dazu gibt es ein paar ganz neue Vorstellungen, wie das
gewesen sein muss. Das Sonnensystem ist aus einer Supernova- Explosion
entstanden, aus einem Stern, der 25 mal so schwer war wie die Sonne. Das ist
die Idee. Woher weiß man das? Aus der Analyse der Meteoriten. Daraus schließt
man, dass kurz vor der Entstehung des Sonnensystems so eine Sternexplosion
stattgefunden hat. Es gibt viele neue Erkenntnisse, die zeigen, dass es ein
Wunder ist, dass unsere Sonne überhaupt Planeten hat.
Im nächsten Teil wird zum Thema: Wie ist die Erde
entstanden? Nämlich aus einem Zusammenstoß vieler Staubteilchen. Wobei das
Problem darin besteht, wie eigentlich Brocken so groß wie ein Haus
aufeinandertreffen konnten, ohne kaputt zu gehen. Es ist ein sehr
unverstandenes Thema, wie aus so kleinen Staubteilen so ein großer Planet
werden kann wie unserer. Und zum Schluss geht es um die Entstehung des Mondes.
Denn die Ur- Erde hat einen Einschlag erlebt, von einem Körper mindestens
doppelt so schwer wie der Mars. (Dieser
Körper ist zerrissen worden und hat seinen Eisen- Kern in den Eisenkern der
Erde zerlegt.) Aus dem Material, das so aus der Erde herausgeschlagen worden
ist, ist im Abstand von 24 000- 30 000 km Entfernung der Mond entstanden. Der
Mond stabilisiert die Rotationsachse der Erde, ohne ihn würde sie „schlabbern“.
Damit hätten wir entweder totale Hitze oder der Planet würde einfrieren.
Sie haben es als
Wunder bezeichnet, dass die vorhandenen Gegebenheiten überhaupt existieren.
Glauben Sie, dass die Entstehung unseres Sonnensystems und der Erde ein Zufall
ist?
In der Tat sind die anfänglichen physikalischen Prozesse
schon sehr... bemerkenswert. Wenn man die zum ersten Mal hört, glaubt man
sofort: Oh, das ist ja eine Aneinanderreihung ganz günstiger Umstände gewesen!
Und so kann man es auch bezeichnen. Was man nachher in der Deutung daraus
macht, ist eine andere Frage. Als Naturwissenschaftler bin ich natürlich
zunächst der naturwissenschaftlichen Methode verpflichtet. Ich habe eine
Theorie, und die kann ich, wenn alles gut geht, überprüfen. Da geht es nicht um
irgendwelche mystischen Deutungen, auch nicht um religiöse Fragen. Sondern: Was
können wir tatsächlich über die damaligen Vorgänge wissen? Es war ja
schließlich keiner dabei. Es ist ein bisschen wie bei einem Kriminalfall: Man
hat ein Indiz und will wissen: Wer war der Täter? Also wir sind eigentlich so
etwas wie Forensiker.
Sind Sie als
Naturwissenschaftler denn religiös?
Ich bin protestantischer Christ. Damit habe ich noch nie
Probleme gehabt. Als Naturwissenschaftler bin ich genauso ein Handwerker wie
ein Schuster zum Beispiel. Physik ist ein Handwerk zur Weltbeschreibung,
zweifelsohne ein sehr mächtiges. Die Wissenschaft sagt mir aber nicht, wie ich
die Welt um mich herum zu deuten habe und sie gibt mir auch keine Anleitung,
wie ich mein Leben zu leben habe. Schon gar nicht kann sie bei der Sinnsuche
behilflich sein. Und die Vermutung bei der Entstehung der Welt liegt schon
nahe: Meine Güte, das sieht ja sehr gewollt aus. Wir sind sehr wohl aufgehoben
in dieser schönen Welt. Aber es fordert uns, als einzige Lebewesen mit
(Selbst-) Bewusstsein. Das heißt, wir wissen, was wir tun und haben automatisch
die Verantwortung für diesen Planeten.
Sie wirken auf
Außenstehende aufgrund Ihres Wissens wie eine Art Genie. Ihre Fachgebiete sind
kosmische Plasmaphysik, schwarze Löcher und Neutronensterne. Was fasziniert Sie
an gerade diesen Forschungsbereichen?
Das ist ganz einfach: Es ist der Rand der erkennbaren
Wirklichkeit. Das sind die Grenzbereiche der möglichen Form von Materie im
Universum. Wenn ein Stern zu schwer wird, wird er irgendwann zum schwarzen
Loch. Ein schwarzes Loch ist eine ziemlich perverse Sache. Das Material, dass da
hineingerät, ist einfach weg, futsch, aus. Wir können gar nicht wissen, was
damit passiert, obwohl viele Bücher darüber geschrieben werden. Und ein
Neutronenstern ist die letzte Raststätte auf der Autobahn zum schwarzen Loch. Man
muss sich das mal vorstellen: Ein Stern wie die Sonne mit einem Radius von 700
000 Kilometern und 333 000 Erdmassen, schrumpft zusammen auf einen Radius von
10 Kilometern. Was für eine Dichte muss das Zeug haben! Stellen Sie sich einen
Würfelzucker vor, der so schwer ist, wie alle Menschen zusammen.
Hier endet ja bei
normalen Menschen das menschliche Verständnis.
Man muss ja sagen, ich arbeite pausenlos mit Zahlen. Die
Mathematik ist für uns das Fenster in Welten, für die wir gar keine Form von
Anschauung mehr haben. Genauso ist es mit den Zeiten, von denen ich gesprochen
habe. Vor Milliarden Jahren ist das Sonnensystem entstanden. Uns fallen ja
schon ein paar Hundert Jahre schwer. Oder können Sie sich vorstellen, dass wir
uns im Jahre 1913 rumtreiben? Das heißt, wir haben mit der Mathematik die
Möglichkeit, uns in Teile der Welt hineinzuversetzen, die uns keine andere
Sprache liefert. Ich unterrichte ja nicht nur Physik, sondern auch Philosophie
an der Hochschule. Aus einem einfachen Grund: Ein alter Traum von mir ist, so
viel wie möglich an Wissen zu sammeln.
Dann sind Sie ja auf
dem richtigen Weg! Noch eine Frage: Ist es wissenschaftlich begründbar, dass
Männer besser in Naturwissenschaften sind als Frauen?
Nein, hierbei handelt es sich um eine subjektive
Wahrnehmung. Wobei man sagen muss, dass Mädels immer besser im Auswendig-
Lernen und im Organisieren sind. Aber wenn es darum geht, etwas völlig Neues zu
erforschen oder selbst richtig kreativ zu sein (in den Naturwissenschaften),
dann sind die Männer wirklich talentierter.
Welche grundlegenden
Fragen der Welt werden denn innerhalb der nächsten 10 Jahre geklärt werden
können?
Was auf jeden Fall in der Astronomie innerhalb der nächsten
zehn Jahre passieren wird: Wir werden einen Planeten um einen anderen Stern
herum finden, der in dem richtigen Abstand um diesen Stern kreist. Wenn es uns
gelingt, die Atmosphäre dieses Planeten zu untersuchen, werden wir wissen, ob
wir alleine im Universum sind oder nicht.
Welche Frage bereitet
Ihnen persönlich am meisten Kopfzerbrechen?
Da werden Sie lachen: Das hat überhaupt nichts mit
Astronomie zu tun. Da geht’s um die Frage, warum wir uns in Deutschland so
heftig dagegen wehren, die Energiewende durchzusetzen. Ich bin ziemlich
enttäuscht darüber, dass die Bundeskanzlerin bei der EU das ganze Geschehen um
die CO² Abgasnorm gebremst hat.
Wir kommen zu der
Schlussfrage: Wann und wo werden Sie als nächstes zu sehen sein?
Am Dienstag, dem 23. 7. 2013 kommt meine Sendung Abenteuer
Forschung im ZDF, mit dem Thema: „Zwischen Ekel und Genuss – Das rätselhafte
Reich der Sinne“ um 22:45 Uhr. Und die „Gaya Weltmusik“ spielt auf dem
„Kannibalen Massaker“, das vom 22. – 25. August stattfindet.
Vielen Dank für das
Interview!
Annabelle Voss
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